Hallo Janine,
ich habe jetzt Dein Buch gelesen und habe es regelrecht verschlungen. Jetzt hat sich meine Frage nach dem Knackpunkt, an dem Du gemerkt hast, daß er ein Beznesser war, erledigt. Denn eigentlich hast Du ja bereits ziemlich früh gemerkt, daß da etwas nicht stimmte. Du hast es aber mit seiner Andersartigkeit als Sri-Lankaner versucht zu entschuldigen. Du hast Dich immer wieder von eurem unsichtbaren Band blenden lassen. Solange, bis Du es einfach nicht mehr ausgehalten hast, denn er hat dieses unsichtbare Band ziemlich belastet und strapaziert, bis es irgendwann riß. Und dann erst hast Du Deinen Zweifeln den Platz eingeräumt, der ihnen gebührte. Dieses Band war wie ein Gummiband, man kann es zwar sehr weit dehnen, aber wehe, es wird von einem losgelassen, dann schnippst es hart und brutal zum anderen zurück.
Ich denke, dieses unsichtbare Band bestand zum großen Teil auf Spiegelung. Manche Leute können einfach sehr gut die Emotionen anderer Leute nachäffen und spiegeln, ohne, daß der Andere weiß, ob es wirklich ernst gemeint ist oder nur professionelles Handwerk. Und, ja, ich denke, als Kind einer zahlreichen Familie hat er genügend Fertigkeiten im Manipulieren und Täuschen erworben, damit er immer zu seinem Vorteil kommt. Und ich denke, wenn ein Mann genug abgebrüht ist, dann kann er wirklich jeder Frau simulieren, sie wäre die Einzig Wahre. Er konzentriert sich dann auf ihre positiven Seiten und macht einfach so Sachen. Der Nala könnte auch bei einem Eskort-Service arbeiten.
Da fällt mir zum einen das tagelange Geheule ein, als sein Bruder wieder aus Sri-Lanka abreiste. Das ist aus meiner Sicht eigentlich nicht nachvollziehbar. Da mußte ich beim Lesen fast lachen. Denn es klingt in meinen Ohren so, daß die Familie beisammen war und es eigentlich von jedem erwartet wurde, um den Bruder zu trauern, nach dem Motto, wer trauert am längsten, wer vermißt ihn am meisten. Das ist so ein sozialer Ritus, wie die Frauen im Gerichtsaal, wenn einer ihrer Angehörigen verurteilt wird. Das wird von denen erwartet, daß sie klagen und sich die Hände vor die Brust schlagen, sonst werden sie womöglich geschlagen

. Vielleicht hat man Dir das Theater auch nur vorgespielt, damit Du Geld rausrückst, damit er dableiben könne. Du hattest ihm ja Durch Deinen Indien-Aufenthalt, wo Du ja nichts gearbeitet hattest, suggeriert, daß Geld in Deinem Leben keine Rolle spiele.
Hat er eigentlich immer den Roller gesteuert, wenn ihr beide zusammen wart? Mir kommt es so vor, daß Du ihm immer freiwillig das Steuern überließest, wenn er bei euch war, sei es in Indien oder in Sri Lanka. Und nicht nur das Steuer Deines Rollers. Und Du schreibst, Nalaka sei in Indien auch gerne shoppen gegangen. Von wessen Geld hat er geshoppt?
Und dann noch die immer mehr entzogene gemeinsame Zeit. Er floh ja regelrecht vor Dir, während ihr in Sri Lanka wart. Das war doch auch eiskaltes Kalkül. Er hat sicherlich genau gewußt, daß Du dann mitarbeiten würdest, um bei ihm zu sein. Er hat Dich also mit gemeinsamer Zeit dafür bezahlt, daß Du in seinem Restaurant bis zu 16 Stunden mitgeschuftet hast. Andere Leute hätte er dafür bezahlen müssen - mit Geld versteht sich.
Und dann das gezielte Beiseitelassen mit der alten Sri Lankanerin auf dem Rückflug von Thailand nach Sri Lanka: Das war auch so eine gezielte Demütigung. Soll heißen: Alle Leute sind als Gesellschaft besser als Du. Ich hatte auch mal so eine Kollegin, die immer sehr freundlich und sympathisch war, mir alles mögliche versprach, aber sie mied geflissentlich alle Situationen, in denen wir beide alleine waren. Und als ich das merkte, strich ich sie von meiner potentiellen Freundesliste, weil ich mich verarscht fühlte.
Und scheibchenweise hat er Dir immer mehr zugemutet, erst die Französin, dann das Visum. Das hat mein Perser auch so gemacht. Sobald er sich meiner sicher war, erzählte er mir von seiner Cousinen-Ehefrau. Und Nala hat ja wohl noch mehr Eisen im Feuer gehabt, denn Du erzähltest ja von zwei Kindern, die von den Frauen verloren wurden. Also entweder waren seine Gene nicht gut genug, daß gleich zwei Frauen die Kinder von ihm im Mutterleib verloren, oder aber er hat bei beiden Frauen extrem übergewichtige Frauen gewählt, wo die Gefahr des Kindesverlusts sehr hoch ist, weil Fett und Insulin das Embryo überfluten und dem sind viele Embryonen nicht gewachsen.
Es kann ja sein, daß die Französin wirklich nicht mit Dir reden wollte, wie er behauptetet. Denn sie hat vielleicht ihren Platz gekannt, wahrscheinlich war Nala wirklich das Beste, was ihr passieren ist in ihrem Leben. Immerhin mußte sie wohl nicht die Terrasse und den Strand säubern wie Du, weil sie mehr zahlte. Wahrscheinlich hielt sie das ganze Restaurant am Leben, wenn in der Nebensaison nicht so viel los war. Und vielleicht hätte sie sich auch nicht gerne ihren Traum von Dir kaputtmachen lassen wollen. Aber vielleicht hätte sie doch gerne mit Dir geredet. Einfach so - von Frau zu Frau? Also mich würde der Gedanke nicht loslassen, daß sie mir vielleicht besser helfen könne, mein Erlebtes zu verarbeiten und Du vielleicht ihr auch.
Ich finde Deine Sprache auch toll, deine Ehrlichkeit, wenn Du über Dich schreibst in bestimmten Situationen. Ich habe Dein Buch gerne gelesen.
LG
Steckchen
Die Liebe vernachlässigt diejenigen am meisten, die ihrer am meisten bedürfen.
(Madame de Rosemonde im Film: Gefährliche Liebschaften (Regie: Stephen Frears) 1988