Hallo Micky und alle anderen,
Micky1244 hat geschrieben:Warst du damals schon so stark eingeschränkt, dass du dich nicht mehr allein bewegen konntest?
Boah, jetzt fragst Du mich etwas. Ich musste echt erst einmal überlegen, ob ich DAS beantworten will. (***Schweissabwisch)
Aber gut, das gehört eben auch dazu ... schliesslich habe ich das Thema begonnen.
Also in Kurzform:
Sterben wäre einfach gewesen. Die Möglichkeiten kenne ich alle und hätte sie auch gehabt.
Aber
aber
aber
wie bekommt man mich danach aus dem Haus - hatte ich mich gefragt und wollte meinem kleinen Sohn ersparen, sich zeitlebens daran zu erinnern, wie seine Mutter mit dem Gabelstapler durch das Fenster gehoben werden musste.
Also ausser Haus.
Baum und Seil ? Unmöglich!
Alles weitere an meinen damaligen Gedanken will ich nicht näher erörtern.
Ich kam auf die Idee - eine Brücke.
Mit meinem Gewicht eine im wahrsten Sinne des Wortes- eine todsichere Sache.
Wie ich zur Brücke kam, lasse ich aus - ich stand dort
am Geländer
mein Busen/Bauch berührte es
meine Füsse standen aber noch einen knappen Meter vom Geländer entfernt.
Ich kam nicht drüber.
In mir reifte der trotzige Zorn, von dem ich schon berichtet habe, und ich nahm mir vor, soviel abzunehmen, dass ich meinen Bauch übers Geländer legen kann, wenn ich eine kleine Fussbank hinstelle --------- und dann -------------->
Ich habe es so verstanden, dass sich dein Todeswunsch mit schwindendem Gewicht verflüchtigte.
Todeswunsch trifft die emotionale Situation nicht.
Lebensunfähigkeit stimmt eher.
Ich konnte nichts mehr, nicht mal mehr lesen - mein Bauch war so umfangreich, dass meine Arme zu kurz waren, um ein Buch zu halten - und meine Busen waren im Wege, um es auf den Tisch zu legen.
Ich konnte halbsitzend liegen, fernsehen und essen - ich merkte mein sonst reger Geist wurde auch fett - das wollte ich nicht auch noch bei mir beobachten müssen.
Ausserdem war ich überzeugt, ich befreie meinen Mann und meinen Sohn von einer Last.
Späterhin hatte ich mein Leben nicht mehr satt, ich hatte begonnen das sinnvollste zu tun, was ich bis dahin jemals gemacht hatte - ich habe mich auf mich besonnen und mich mit mir beschäftigt - und mich Stück für Stück (oder Kilo für Kilo?) begonnen zu verstehen, indem ich mich nicht mehr belogen habe.
Meine Tochter, die als Physiotherapeutin in einem Krankenhaus arbeitet, erzählt immer wieder von Patienten, die auf Grund ihres riesigen Gewichtes sich nicht mehr selbstständig bewegen können.
Ja, kenne ich auch, kurz vor dieser Etappe wollte ich damals eben aussteigen. Ich wog weit mehr als 200 Kilogramm, laufen konnte ich meine Art der Fortbewegung nicht mehr nennen.
Ich habe erlebt, dass Schüler schon in ihrer Grundschulzeit immer korpulenter wurden, es gab verschiedene Versuche, diese Entwicklung zu stoppen, alles vergeblich. Kuren, Moby Dick ( in Hamburg ein Programm für übergewichtige Kinder), Betreuung durch soziale Dienste, nichts brachte einen dauerhaften Erfolg.
Ich habe dazu eine sehr eigenwillige Meinung: Essen ist nicht der Ausgangspunkt, sondern es muss der Grund gefunden werden, warum jemand isst - statt etwas anderes zu machen- z.B. zu reden.
Essen hat mMn etwas mit verschlucken, herunterschlucken zu tun ----------- auch psychologisch.
Mal abgesehen davon, bin ich immer empört gewesen und bin es auch noch, wenn ich sowas höre, wie Mobby Dick oder wenn es um Kleidung ging - Mobby Schick oder Miss Piggy .... also wem man helfen will, sollte man nicht beleidigen. Das war und ist für mich immer so eine Angelegenheit, bei der ich am Verstand, an der Empathie der Leute zweifle, die sich solche Namen ausdenken, aber behaupten, sie verstünden etwas von der Materie.
Ein Mädchen ist mir in Erinnerung, auf jeder Klassenkonferenz war ihr Gewicht ein Thema, morgens sah ich sie auf dem Weg zur Schule, an beiden Händen Plastiktüten mit Knabberzeug und Chips tragend. Ihre Kleidung erinnerte an den Überwurf, den meine Mutter.für ihre fußbetriebene Nähmaschine angefertigt hatte. Sie tat mir unendlich Leid, aber ich hatte nie das Gefühl, dass irgend jemand sie noch erreichen konnte.
Sie sich selbst vielleicht irgendwann.
Genauso wenig habe ich bei stark adipösen Erwachsenen in meinem Umfeld miterlebt, dass eine Umkehr gelang. Trotz Diabetes, Bluthochdruck etc.
Ja, wir Menschen sind so, wir sehen die Katastrophe und denken, sie sei aus Licht gemacht.
Allenfalls mit Magenband gelang eine Gewichtsreduktion.
Wer das richtig beherrscht, wird davon auch nicht beeindruckt. Ich kenne allerhand Leute mit Magenband und regelmässiger Zunahme.
Dazu gehörte auch Elke- die hatte eins.
Was alles kann zur Sucht werden?
Alles!
Bei alkoholabhängigen Menschen ist oft zu beobachten, dass , wenn sie trocken sind, Kaffee und Zigaretten in hohem Maß konsumiert werden.
Ich habe mit dem Rauchen aufgehört-- und esse dafür mehr. Es schmeckt einfach wieder besser. Also, eine Sucht wird durch eine andere ersetzt.
Ja, ich denke, wir tauschen aus - eine alte Frau hat mir einmal gesagt, die Summe aller Sünden sei gleich. Manchmal denke ich an sie.
Aber ernsthaft: Das klingt jetzt sicherlich ein bissel dämlich, doch so in ein paar Zeilen gepresst, gelingt es mir wahrscheinlich nicht, auszudrücken was ich denke: Wir haben heutzutage einen solchen input, so unglaubliche viele Eindrücke stürzen auf uns ein, wir leben dazu auch noch wesentlich länger als die Menschen noch vor 100 Jahren.
Bei aller Entwicklung unseres Organismus über die Evolutuion hinweg,
"gemacht" sind wir Menschen in unserem Grundmuster eben nicht für alles und alle Menschen sind nun mal nicht gleich. Aber alle Menschen müssen zusammen leben - wir können gar nicht mehr autark leben- das bringt nicht nur Konflikte, sondern unterschiedliche Anpassungs- und Entwicklungstempi und - stationen.
Das alles und noch mehr verarbeitet jeder Mensch auf seine Weise und
sucht
nach seinem Weg zu seinen Zielen in seiner eigenen Wertvorstellung.
Dabei abzutrifften, umzukippen, sich zu verlaufen, ist nicht schwer.
Alle, die wir unsere mobilen Bündel des Lebens mit uns herumtragen, sind wir nicht auf einem, sondern auf unserem Weg und dennoch in guter Gesellschaft zu anderen, die nicht weniger und nicht mehr "wert" sind als wir selbst.
Gibt es überhaupt ein suchtfreies Leben?
Das weiss ich nicht, ich glaube es aber auch nicht.
Kann alles, wovon wir abhängig sind, Suchtcharakter annehmen?
Ich glaube, Abhängigkeit ist genau die richtige Eingangstür für eine Sucht.
Ist eventuell jede Sucht Ausdruck einer Depression, eines Todeswunsches?
Bitte verstehe mich nicht anders als ich es meine, aber diese Frage möchte ich nicht beantworten. Das wird eine ellenlange Diskussion, die mMn nur Irritationen bringt.
Gibt es auch ein Süchtlein, das heißt die Möglichkeit, die Sucht zu beherrschen und klein zu halten, ohne dass die nächste Sucht das Vakuum besetzt?
Ich lache gerade in Erinnerung an mein früheres Süchtlein schallend.
Als ich mich so halbwegs wieder generell bewegen konnte, aber nicht mehr gegessen habe, musste ich trotzdem immer etwas mit Essen machen. Ich kann von Haus aus genial kochen und so begann ich zu kochen - und zwar so viel Verschiedenes, dass mein Ehemann entzückt war, aber niemand alles essen konnte. Also habe ich alles eingefroren, was zur Folge hatte, wenn die Kühltruhe voll war, musste sie erst leer gegessen werden, damit ich wieder kochen konnte.
Aber nach ein paar Kühltruhenumwälzaktionen war auch das überstanden.
Mein Ersatzsucht war der Sport. Ich habe Kraftsport gemacht - das Ziel: charlotte wird schön.
Aufgehört habe ich damit erst ( also mit dem Sport- nicht mit dem Schön-sein

) als ich nach Ungarn ging.
Aber hier lebe ich anders. Ich muss für mein Essen was tun, anbauen, zu Bauern laufen und etwas einkaufen, uvm.
, wenn ein suchtkranker Mensch kurz vor dem point of no return angekommen ist und es ihm gelingt, das Steuer im letzten Moment herumzureißen.
Ich weiss nicht, ob es gut ist, wenn ich es so direkt schreibe, aber ich kann es nicht anders: Ich denke, man muss den Dreck seines eigenen Daseins fressen, bevor man aus einer richtig manifesten Sucht heraus findet. Denn denn denn, der Entschluss, der Wille, der Beginn ---daraus---- setzt ja die Sucht und deren Folgen nicht aus.
Einem Bezness nicht mehr zu folgen, nicht mehr zu antworten auf seine sms, nicht mehr zu mailen, nicht mehr zu telefonieren, heisst ja nicht automatisch, man hat ihn vergessen - da fängt der kalte Entzug erst an- denke ich.
Gleichermassen bedeutet- das Essen einzustellen nicht, sofort die erreichbare Figur zu haben. Die Qual wird erstmal grösser, die Sucht ist noch voll in Betrieb aber man lässt ihr nicht mehr den Raum, den sie vorher hatte - soll heissen, mit jedem Wimpernschlag auch Kraft aufwenden ----> zusätzlich zu vorher.
Man lebt noch lange in genau dem Elend weiter, das man gerade dabei ist abzuarbeiten- wegzuarbeiten.
Herzlichst
charlotte_