Eure Erlebnisse würden mich interessieren, was die Tunesier als Armut definieren.
Ich erzähle euch mal die Geschichte von, nennen wir ihn mal: Omar
(Das ist aber NICHT der Möchtegern-Beznesser, von dem ich hier schon mehrmals berichtete)
Ich habe z.B. im Dezember letzten Jahres einen jungen Mann kennengelernt, der in seinem letzten Jahr auf der Hotelfachschule war und in dem Hotel, in dem ich gewohnt habe, in den "Semesterferien" gearbeitet hat.
Wir haben uns viel unterhalten und ich hatte eigentlich einen positiven Eindruck von ihm gehabt, habe ihn als "intelligenten jungen Mann" eingeschätzt, der nicht so ist, wie die üblichen tunesischen Lackaffen, die im Tourismus arbeiten.
Er kam aus Sfax, erzählte mir von seinen Eltern, Vater ist Schuhhändler und Fotograf. Mutter nur im Haus. Er habe zwei jüngere Brüder und eine kleine Schwester. Er erzählte mir von der Schönheit der Insel Kerkennah, wo die Hotelfachschule ist.
Wir blieben über Facebook in "platonischem" Kontakt und ich sagte ihm, dass ich bei meinem nächsten Tunesienaufenthalt ein bischen durchs Land reisen möchte. Ich wurde nach Sfax eingeladen und er wolle mir auch Kerkennah zeigen.
Im vergangenen Juni habe ich dann ihn und seine Familie in Sfax besucht.
Ich dachte mir, warum nicht. In Sfax lernt man vielleicht mal normale Tunesier kennen, die nicht vom Tourismus versaut sind.
Dort habe ich dann auch den älteren Halbbruder kennengelernt, von dem er vorher kein Wort erwähnt hat (von der ersten, verstorbenen Frau des Vaters), und der soeben sein Jura-Studium abgeschlossen hatte.
Der Bruder sprach ein gutes Englisch und als ich überraschend reagiert habe, dass es ihn gab meinte er "I know that he is hiding me".
Der Vater war 20 älter als die Mutter, seine zweite Frau, und hatte auch schon 7 Jahre in Europa gelebt.
5 Jahre in Frankreich und 2 Jahre in der Tschechischen Republik und in beiden Ländern als Fotograf gearbeitet.
(Frage am Rande: Was klappte das mit der Aufenthaltserlaubnis? Und warum Tschechische Republik?)
In Sfax hat der Vater zwei Jobs, einmal als Schuhverkäufer und einmal als Hochzeitsforograf am Abend und am Wochenende.
Beide Eltern wirkten "modern" und gebildet, Vater sprach perfekt französisch, sehr gut englisch und auch tschechisch, die Mutter sprach gut französisch.
Generell sah die Familie auch optisch nicht wie "klassische Tunesier" aus, sie waren sehr hell und großgewachsen.
Den ältesten Sohn haben sie das Jura Studium bezahlt, dem Zweitältesten die private Hotelfachschule, die beiden anderen Söhne gehen noch zur Schule (Lyzée) und sollen danach auch eine Ausbildung bekommen. Auch das einzige Mädchen und jüngste Kind soll eine Ausbildung machen.
Dafür macht der Vater die beiden Jobs und ist mindestens 16 Stunden am Tag damit beschäftigt.
Ich habe in dem Haus der Eltern übernachtet.
Viele Zimmer, jedes Kind hatte sein eigenes Zimmer.
Das Haus hatte zwei Küchen. Die im Erdgeschoss eher "traditionell", die im 1. Geschoss war modern mit Küchenzeile.
Die Mutter hatte eine neue Waschmaschine und auch eine große Kühl-Grefrierkombi.
Modernes Badezimmer, also kein Loch im Boden wo man zieltreffen musste!
Die Großeltern wohnen dort nicht, die sind verstorben, denen gehörte das Haus.
Haus ist also Eigentum!
Man hatte zwar kein Auto (das machte Omar sehr traurig), aber jedes Familienmitglied legte alles ab 100m mit dem Taxi zurück.
Omar auch, und telefonierte im Taxi non stop.
Als ich da war kam die Femme de Menage, die Haushaltshilfe, die der Mutter an mehreren Tagen die Woche zur Hand geht.
Jedes Kind, mit Ausnahme von dem 11 jährigen Mädchen, hatte sein eigenes Handy.
(Dazu meinte ich, dass es noch zu früh wäre für das Mädchen für ein Handy...in ein oder zwei Jahren okay...man verstand, dass ich beim nächsten Besuch...der stand für die Familie fest, dass er sein wird, ein Handy (mein Handy) für die kleine Tochter mitbringen würde...der Ruhe halber bin ich nicht drauf eingegangen)
Alle Kinder waren gut gekleidet. Der Vater war "westlich" gekleidet. Alle in der Familie waren für mitteleuropäische Verhältnisse wirklich gut gekleidet.
Man erzählte mir, dass die ganze Familie in der Woche vor dem Ramadan eine Woche Urlaub in einer Ferienwohnung in Mahdia machen würde.
Mich lud man dazu auch ein, welches ich nicht annehmen konnte, da ich dann nicht mehr in Tunesien war.
Einziger "Wehmutstropfen" war dann (für Omar), dass sich alle Kinder einen Computer teilen müssen!


Und das war seine Definition von Armut und dann kam er mit seiner Story und dann habe ich mir den Besuch auf Kerkennah wirklich geklemmt:
Seine Eltern sind sehr müde und sehr arm. Ja, er sagte auf französisch " trés pauvre". Da habe ich mich auch nicht verhört!
Er wünscht sich für seine Eltern, dass er ihnen eine Hadj nach Mekka schenken kann, dass wäre deren größter Wunsch.
(Die Eltern wirkten alles andere als sehr religiös)
(Ich habe darauf seinen älteren Bruder angesprochen, der sagte, da wissen selbst seine Eltern nichts von, dass sie auf eine Hadj wollen)
Seitdem er denken kann, möchte er nach Europa, denn seitdem er ein Kind ist, möchte er, dass es seinen Eltern gut geht.
(Darauf erwähnte ich, dass sein Vater sich selbst nach 7 Jahren in Europa arbeiten sich nicht in Tunesien zur Ruhe setzen kann, er soll nicht träumen)
Er will nach Europa. Tag und Nacht nur arbeiten, dann in Tunesien ein Hotel eröffnen und seine "L´Amour heiraten.
Aber vorher wird ihn seine L´Amour nicht heiraten. Tunesische Frauen sind so.
Die wollen "Clima", "Plasma", "Voiture" etc. Und "maquillage"! Ganz wichtig, er möchte seiner Freundin auch Make-Up kaufen können.
(Und 5 mal am Tag betete er und machte immer auf moralische Instanz und Ehre etc.)
Aber das kann er mit den 350 Dinar, die er in Tunesien verdient nicht machen, dass Geld würde gerade für ihn reichen für:
Handykarten, Zigaretten kaufen, ins Cafe gehen.
(Frage: Wie schaffen das tunesische Familien, die mit dem Geld auskommen müssen?)
Und dafür will er in Europa arbeiten kommen, damit ihn eine tunesische Frau heiraten wird.
Er weiss, dass er dafür eine europäische Frau heiraten muss, sonst kommt er nicht rüber.
Und er hat dafür auch schon eine Reihenfolge der Nationalitäten, die in Frage kommen und welche Nationalitäten nicht in Frage kommen.
Er wird auf jeden Fall der europäischen Frau gegenüber ehrlich sein und sagen, dass er eine Frau später in Tunesien heiraten wird.
(Er ist da nicht so wie andere Tunesier, also Beznesser, die nicht ehrlich sind. Denn er hat ein "Coeur blanche", ein weisses Herz)
Nämlich seine L´Amour, die die ganzen Jahre auf ihn warten wird....für Clima, Plasma, Auto und Make-Up.
UND:
Er wird solange er die europäische Frau hat, zwei Familien haben und zwei Leben führen.
Das eine Leben in Europa mit der europäischen Frau und das andere Leben in Tunesien.
Es gibt nur eine Familie für ihn, und das ist seine Herkunftsfamilie.
Aber das gilt nur für die europäische Frau mit den zwei Familien, mit der tunesischen Frau ist das dann eine Familie
...parce que musulman...weil sie Muslima ist.
Dann fragte er mich, was denn die folgenden Dinge in Deutschland kosten, weil sie so teuer sind in Tunesien:
Laptop? Handy...natürlich I-Phone? Plasma TV, aber ein größerer.
Und der Laptop auch ein Mittelpreisiger.
Ich sagte: 1600 Dinar.
Er sagte: Okay. Kannst Du das beim nächsten Mal mitbringen? Ich gebe dir dann hier das Geld!
Ich fragte ihn, wie er von Juni bis Oktober 1600 Dinar zusammen kriegen will.
Er sagte, er wollte Tag und Nacht arbeiten.
Im Oktober bekomme ich das Geld sofort.
Ich fragte ihn, warum er das Zeugs haben möchte, die Familie hat einen Computer, er hat ein Handy. Man habe doch zwei Fernseher.
Antwort: Handy ist alt. Computer ist alt und er muss ihn sich teilen. Die Fernseher sind alt und Röhre (sahen gut aus!) und sind kein Plasma-TV.
Er möchte für den "Salon" einen Plasma TV haben (zum Angeben!). In Tunesien sei das wichtig!
Und den Laptop braucht er "pour amusement"...also für seinen Spass!
Ich sagte "okay", damit ich meine Ruhe habe!
(Natürlich hatte ich nie vor, die Sachen zu kaufen und gegen hohe Zollgebühren nach TN einzuführen)
Kaum waren wir raus aus dem Cafe und auf der Strasse, dann sagte er, ob es auch für mich okay ist, dass er mir erst das Geld im Dezember gibt für die Sachen, wenn ich die im Oktober mitbringe.
Dazu sagte ich nichts.
Er dachte, dass bedeutet "Zustimmung" und sagte "Merci"...und dann nochmals Danke dafür, dass ich so ein weisses Herz habe....


Ach so: Und er fragte noch, ob das Handy, mein Handy, welches ich im Oktober seiner 11 jährigen Schwester schenken wolle (häää??) ein I-Phone sei und ich solle auch das Ladekabel nicht vergessen!!!
Ich sage "No, altes Samsung" war er sehr sehr enttäuscht


Wie kann sich der Euopäer nur erdreisten und einem 11 jährigen tunesischem Kind kein I-Phone schenken, wo doch die Eltern des Kindes so arm sind!

Er war dann ganz überrascht, dass ich am nächsten Tag noch nicht mit ihm nach Kerkennah wollte und lieber am gleichen Abend noch abgereist bin.
Zwischendurch kam dann wieder ein bischen bla bla über Facebook, sogar bis "I miss you" etc.
(Ich hatte mit dem Jüngelchen zu keinem Zeitpunkt amoröse Absichten)
Im nächsten Satz war dann die Frage, ob ich jetzt den Laptop, dass I-Phone und das Plasma TV kaufe ("oder nicht?"). Es würde auch nur reichen, wenn es der Laptop und das Handy sind...
Da platzte mir der Kragen und ich schrieb ihm eine saftige Mail in französicher Sprache, damit er es auch genau versteht:
Ich habe ihm gesagt, dass ich es für eine Frechheit halte, dass er solche Forderungen stellt, auch unter dem Deckmantel des "Bezahlen wollens", denn ich weiss genau, dass er niemals 1600 Dinar hat.
Und wenn er sie hat, dann sollte er sie lieber seinen Eltern geben, damit die mal einen Erholungsurlaub machen können, wenn er sich doch angeblich so Sorgen um seine Eltern macht, die sooo müde sind vom ewigen Schuften (für ihre egoistischen Kinder!!).
Zudem hat er noch zwei Brüder und eine Schwester und der nächste Bruder wird in einem bis zwei Jahre der Nächste sein, der eine Ausbildung machen wird.
Da sollte er lieber jeden zweiten Dinar, den er verdiene, seinen Eltern geben, damit der Bruder auch in den Genuss einer Ausbildung kommt, so wie er.
Schliesslich haben seine Eltern ihm seine Ausbildung auch finanziert!
Und da er so auf heilige Familie macht, dann soll er sich darum kümmern, statt um Laptop pour Amusement!
Und ob er eigentlich glaube, dass mit einem Plasma TV das TV-Programm besser wird?
Und ob er mal von Einfuhrzöllen gehört hat, die alles noch teurer machen und sicherlich nicht vom Europäer als Geschenk übernommen werden.
Thema Europa habe ich auch angesprochen und ihm da hoffentlich so manchen Zahn gezogen mit dem Beispiel seines eigenen Vaters.
Das wir in Europa hart für unser Geld arbeiten müssen und nicht von den Europäern verlangen kann, dass sie Kredite geben, nur weil er zuviele amerikanische Filme schaut und verblendet (verblödet) ist.
Ich habe ihm gesagt, dass er in den Augen vieler Europäer reicher ist, als der Europäer: Er hat seine Familie. Dahin kann er immer wieder hinkommen. Da hat er einen Platz und einen Zusammenhalt. So etwas gibt es in Europa kaum noch.
(Keine Ahnung ob er den Sinn verstanden hat und was ich genau damit sagen möchte?)
Antwort war "Merci pour ton coeur blanche"...Danke für dein weisses Herz!