Kinderehen, Vielehen oder Ehen nach einer Vergewaltigung – während es am Arabischen Golf zögerliche Fortschritte gibt, kämpfen nordafrikanische Frauen mit Rückschritten.
Tunesien steht gerade vor einer ganz besonderen Herausforderung: Über das Internet rief der saudische Prediger Muhammad al-Arifi im Frühjahr Musliminnen auf, islamistische Rebellen im Kampf gegen das syrische Regime zu unterstützen. Mindestens zwei Dutzend Tunesierinnen sollen dem Ruf zum "Dschihad an-Nikah", dem "heiligen Krieg der Heirat", nach Syrien gefolgt sein. Genaue Zahlen sind nicht bekannt. Laut Medienberichten gehen die Frauen sogenannte Zeitehen mit den Aufständischen ein. Während der meist nicht länger als eine Stunde dauernden Verbindung haben die "Eheleute" Sex. Anschließend folgt die Scheidung und die nächste Kurzehe folgt.
Eine Zwangsheirat ist das zwar nicht, aber die Zeitehe kann den Frauen schaden. Sie ist im Islam nämlich umstritten: Schiiten erkennen sie an, Sunniten lehnen sie ab. Tunesien ist sunnitisch geprägt, die Zeitehe ist rechtlich nicht anerkannt. Seit Juni werden nun erste Schwangerschaften von Tunesierinnen bekannt, die den "Dschihad an-Nikah" praktiziert hatten. Ihre Kinder gelten im sunnitischen Tunesien daher als unehelich. Ihre Zukunft in der Wiege des sogenannten "Arabischen Frühlings" ist ungewiss.
In Libyen gibt es seit dem Sturz von Muammar al-Gaddafi sogar einige Gesetzesänderungen zum Nachteil der Frauen: Seit Februar dürfen Männer beispielsweise ohne das Wissen ihrer Gattin weitere Frauen heiraten. Unter Gaddafi war für die im Islam zulässige Vielehe nicht nur die Einwilligung der ersten Frau notwendig. Der Mann musste auch nachweisen, dass er mehrere Ehefrauen materiell versorgen kann. Außerdem setzt Libyen zwar mit 20 Jahren ein hohes Mindestalter für die Ehe an, stimmt aber ein gesetzlicher Vormund zu, darf die Braut auch jünger sein.
Offen bleibt hier noch die Rechtslage im Fall von Vergewaltigungen: Unter dem alten Regime konnte ein Täter straffrei ausgehen, wenn er sein Opfer heiratete – eine Form der Zwangsehe, die Erpressung gleichkommt: Heiratet die vergewaltigte Frau ihren Peiniger, ist nämlich die Familienehre wieder hergestellt. Diese gilt als beschädigt, sobald eine unverheiratete Tochter ihre Jungfräulichkeit verliert – selbst, wenn das durch Gewalt geschehen ist.
Auch in Marokko war diese Praxis üblich, bis sich im März 2012 die erst 16-jährige Amina Filali das Leben nahm, um der Ehe mit ihrem Peiniger zu entgehen. Seitdem wird in Marokko heftig über Artikel 475 des Strafgesetzbuchs diskutiert, der die Straffreiheit eines Vergewaltigers ermöglicht, wenn er sein Opfer heiratet. Im Januar kündigte die marokkanische Regierung an, den Artikel zu überarbeiten – bisher jedoch ohne Ergebnis.
Im Jemen hatte gerade das Video der elfjährigen Nada al-Ahdal Aufsehen erregt, die sich gegen eine Heirat mit einem wesentlich älteren Mann wehrte. Das Schicksal, bereits im Kindesalter gegen den eigenen Willen verheiratet zu werden, trifft viele Mädchen im Jemen, vor allem auf dem Land. Laut den Vereinten Nationen sind im Jemen 14 Prozent aller Mädchen unter 15 Jahren verheiratet, 52 Prozent werden zu Ehefrauen, bevor sie 18 Jahre alt sind.
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