Teufelsaustreibung auf neudeutsch
In unserem Land brechen gerade alle Dämme. Politische Gegner mit Krankheiten zu vergleichen hielt ich immer für eine Methode aus dem Giftschrank der Geschichte. Hass und Hetze kommt heute in erster Linie von denen, die sagen, sie seien gegen Hass und Hetze. Das ganze hat wahnhafte Züge. Von Boris Reitschuster.
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So synchron ist der Tenor in allen großen Medien, so übereinstimmend mit der Linie aus dem Kanzleramt nicht nur in Sachen AfD, sondern auch der Mehrzahl der anderen Themen, (siehe auch Hanau und Thüringen) , dass man ins Stutzen gerät. Insbesondere wenn man an die geplante massive Finanzierung der sterbenden Zeitungen mit Millionen aus den Steuereinnahmen denkt. Der Verdacht, dass da eine Hand die andere wäscht bzw. ihr nach dem Mund schreibt (und sendet), ist nicht von der Hand zu weisen.
Allein schon nach dem Zufallsprinzip müssten doch in einem demokratischen Land einige der großen Medien auch andere Sichtweisen zu Wort kommen lassen. Aber stattdessen werden diejenigen, wenigen kleinen Medien stark attackiert, die von der Linie abweichen. Auch ausländische. Die Korrespondentin der altehrwürdigen Neuen Zürcher Zeitung in Berlin musste sich unglaubliches anhören:
Wenn diese Entwicklung so weiter geht, kommen wir in gar nicht allzu ferner Zukunft wieder zur Teufelsaustreibung und Hexenjagd wie im Mittelalter, nur mit anderen Mitteln - in der Zeit von sozialen Medien braucht man keine Pranger mehr auf Marktplätze stellen.
Im öffentlichen Dienst wird AfD-Mitgliedern bereits der Austritt nahegelegt, in Restaurant der Zutritt verweigert, in den sozialen Medien sogar zu ihrer Inhaftierung aufgerufen. Wie heute in Politik und Medien negative Emotionen und Ängste geschürt werden, ist im höchsten Maße verantwortungslos und geschichtsvergessen. Es ist ein Spiel mit dem Feuer, eine zynische Instrumentalisierung von Terror und Nationalsozialismus zur Sicherung der politischen Hegemonie. Die Verblendung, mit der große Teile der Politik und Medien, aber auch der einfachen Bürger dem folgen, in höchster Inbrunst, lässt erahnen, wie gewisse geschichtliche Prozesse abliefen, die man ohne die aktuellen Erfahrungen für undenkbar in der Gegenwart hielt.
Nach einer Umfrage des Instituts Kantar sieht eine Mehrheit der Deutschen eine Mitverantwortung der AfD an rechtsextremer Gewalt. 60 Prozent der Befragten sind dieser Meinung, so die „Bild am Sonntag“ (BamS) herausfand. Nur 26 Prozent glauben nicht, dass die Partei mitverantwortlich ist für Gewalttaten wie in Hanau, 14 Prozent sind unentschlossen. Auch wenn solche Umfragen mit Vorsicht zu genießen sind, weil sie heute oft genug verwendet werden, um Stimmungen zu schüren statt sie wiederzugeben, ist dies doch ein Indiz dafür, dass die massive Stimmungsmache verfängt.
Diejenigen, die heute so viel über Hetze klagen, sollten einmal die Definition dieses Worts im Duden nachlesen und dann in den Spiegel sehen: "Gesamtheit unsachlicher, gehässiger, verleumderischer, verunglimpfender Äußerungen und Handlungen, die Hassgefühle, feindselige Stimmungen und Emotionen gegen jemanden, etwas erzeugen." Emotionslos betrachtet, trifft das auf viele Äußerungen gegen die AfD und ihre Politiker genauso zu wie - zweifelsohne - auf viele von deren Äußerungen. Aber zu so viel Selbstreflexion sind leider sehr viele nicht mehr fähig - auch in Politik und Medien.
Eine gute Freundin aus dem Ausland (einer der großen, traditionellen Demokratien), die in Berlin lebt, und deren Vorfahren sowohl unter braunem wie rotem Totalitarismus gelitten hatten, schrieb mir dieser Tage:
"Alle Dämme sind gebrochen. Die häßliche Fratze der angeblichen moralischen Überlegenheit des homo germanicus ist wieder da, für die ganze Welt zu sehen. Meine Freunde Zuhause schütteln den Kopf und fragen mich, wie ich nur eine Sekunde habe glauben können, die Mehrheit der Deutschen habe sich so schlagartig zu Demokraten ändern können. Gott war ich naiv. Sie lernen es nie. Margaret Thatcher hatte recht."
Die damalige britische Premierministerin hatte vor der Wiedervereinigung massive Bedenken, ob die Deutschen wirklich zu Demokratie fähig sind (siehe hier). Im Nachhinein lesen sich manche ihrer Bedenken wir Prognosen. Nur liegt das Problem, so glaube ich, weniger an den Deutschen an sich. Als an ihren Eliten, vor allem in Politik und Medien.
Wenn (!) sich die Hysterie dieser Tage wieder legt und wieder ein sachlicher Diskurs möglich werden sollte, muss man darüber nachdenken, wer und was die AfD groß gemacht hat. Dann könnte man, um in einem von Jakob Augstein geprägten Bild zu bleiben, statt dem Fieber die Krankheit bekämpfen. Aber da hätten wohl einige (zu) viel zu verlieren.
https://www.reitschuster.de/post/hetze