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von Arche Noah » 28.02.2009, 20:14
Kindesentziehung
Ohne meine Tochter
Rhein-Ruhr, 25.02.2009
Wuppertal.
Yeliz Evrensel wurde erst zwangsverheiratet, dann verprügelt.
Als sie anfing, sich zu wehren, tauchte ihr Mann mit der Tochter in der Türkei ab.
„Ich war 14, als meine Mutter anfing, mir Fotos von meinem Cousin zu zeigen.” Ganz ruhig erzählt Yeliz Evrensel ihre Geschichte.
Die beginnt wie eine türkische Klischee-Klamotte und endet wie ein Krimi. Das Problem: Sie will nicht zu dem passen, was man sieht.
Yeliz Evrensel.
Eine kluge, junge Frau. 26 Jahre alt, selbstständig,
perfektes Deutsch.
„Kennen Sie dieses Mädchen, das in der Schule immer Klassensprecherin ist, das sich bei Referaten meldet und bei allen beliebt ist?
So eine war ich.” Das passt schon besser.
Und doch ist es ein und dieselbe Person.
Yeliz, die bei Klassenfahrten dabei ist, obwohl andere Kinder türkischer Eltern nicht mitfahren dürfen.
Und Yeliz, die mit ihrem Cousin zwangsverheiratet wird.
Die bei ihm bleibt, obwohl er sie schlägt.
Und die jetzt beim Anwalt sitzt, weil ihr Mann ihre Tochter entführt hat.
Es war 1998, Yeliz war mit ihren Eltern in der Türkei. „Mustafa wird dir ein guter Ehemann sein”, sagte ihre Mutter.
„Er war wie ein Bruder für mich”, sagt Yeliz. Abhauen?
Daran habe sie nie gedacht. „Dafür habe ich meine Familie zu sehr geliebt.”
Ihr Bruder versucht noch, die Mutter umzustimmen.
Keine Chance. Wie das aussehen würde, fragt die nur.
Schließlich sei es ihre Verwandtschaft.
Yeliz hat Angst. Von Anfang an.
Vielleicht wird sie deshalb immer kleiner.
Von der selbstbewussten Schülerin zur scheuen Hausfrau und Mutter.
„Ich hab mich nicht wohl gefühlt in seiner Anwesenheit”, sagt sie über Mustafa, der immer ihr „Abi” war, ein großer Bruder, zu dem sie aufschaut und dem sie jetzt die Frau sein soll.
„Ich wusste doch nicht, wie das mit einem Mann ist.
Ich hatte doch nie einen Freund.”
Ein Jahr später. Die Familie fährt in die Sommerferien,
Hochzeit feiern. Yeliz versucht es ein letztes Mal.
Sie will in der Türkei leben, macht sie zur Bedingung.
Vielleicht schreckt es den Cousin ja ab, vielleicht hat er es ja nur auf ein Leben in Deutschland abgesehen.
Er willigt ein – scheinbar. „In der ersten Woche nach der Hochzeit habe ich die erste Ohrfeige bekommen”, sagt Yeliz.
Zwei Monate später will er nach Deutschland.
Sie ziehen nach Goslar, Yeliz' Geburtsort.
„Auf einmal war Mustafa ganz lieb und nett”, erinnert sie sich an die erste Zeit in Deutschland.
„Er hat mir im Haushalt geholfen und kam mit zur Schwangerschaftsgymnastik.”
Mustafa ist wie ausgewechselt. Bis er 2004 seine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erhält. „Dann fingen die Schläge an”, sagt Yeliz.
Einmal lief alles gut, neun Monate lang.
Das Paar kauft ein Häuschen. „Alle dachten, es ist alles in Ordnung.
Ein Kind, ein Haus, zwei Autos. Aber nichts war in Ordnung.
” Mustafa flippt wieder aus, verprügelt seine Frau, setzt sie nachts vor die Tür.
Finanziell geht's auch bergab.
Da fasst Yeliz sich ein Herz. Sie verlässt ihn, zieht mit Tochter Emel nach Wuppertal.
Am Anfang scheint Mustafa es zu akzeptieren, hilft sogar beim Umzug. Sobald sie getrennt leben, beginnt der Terror.
Er steht vor der Tür, bedroht und beschimpft sie. Yeliz stellt Anzeige wegen Stalking.
Die Scheidung ist eingereicht.
Bei der Sorgerechtsverhandlung erhält Mustafa Umgangsrecht.
Das Gericht legt fest, dass er Emel über Silvester sehen darf.
Yeliz händigt sie ihm aus – obwohl sie Bedenken hat.
Am 4. Januar soll er sie zurückbringen. Um 15 Uhr.
„Um 15.30 Uhr hatte ich schon Panik”, sagt Yeliz. Ihre Befürchtungen werden Gewissheit.
Ihr Mann ist weg – mit Emel.
„Er wird auftauchen”, sagt Oguz Sarikaya, „spätestens, wenn das Kind krank wird und zum Arzt oder ins Krankenhaus muss.” Sarikaya vertritt Yeliz als Rechtsanwalt.
Er habe öfter mit solchen Fällen zu tun, sagt er.
„Es sind meistens die Leute, die zuheiraten.”
Zum Glück sei die Türkei Unterzeichner des Haager Abkommens, was sie verpflichtet, das Kind so schnell wie möglich ins Ursprungsland zu überführen.
Daran würden die Behörden jetzt mit Hochdruck arbeiten.
Es gab schon Razzien bei den Verwandten.
„Irgendwann geben die Leute auf”, sagt der Anwalt, „die Verantwortung für ein Kind ist viel zu groß.”
Im April wird Emel sechs. „Sie muss doch eingeschult werden”, sagt Yeliz leise.
Doch sie ist nicht mehr die, die sie war.
Sie zieht jetzt um, erzählt sie, und will ihr Abi machen.
Sie freut sich auf ein neues Leben – mit ihrer Tochter
Quelle: WAZ (Westdeutsche Allgemeine Zeitung)
Hintergrund: Kindesentziehung ist keine Seltenheit
Der Fall Emel
Kindesentziehung ist keine Seltenheit
Rhein-Ruhr, 24.02.2009, Thomas Mader
Essen.
Kindesentziehungen durch einen Elternteil machen selten große Schlagzeilen, dabei tritt dieser Fall deutlich häufiger auf als die „klassische” Entführung.
„Etwa 100 000 Kinder werden jedes Jahr als vermisst gemeldet, aber in rund 98 Prozent der Fälle tauchen sie von alleine wieder auf oder werden gefunden”, erklärt Carl Bruhns vom „Committee for Missing Children”. Drei Viertel der restlichen Fälle betreffen Eltern, die ihre Kinder verschleppen. Fast immer sind es die Väter.
Rund 1800 Fälle hat das Bundeskriminalamt im Jahr 2007 gezählt. Das waren 16,6 Prozent mehr als im Vorjahr. Die meisten dieser Kindesentziehungen geschehen über Grenzen hinweg. Und die Väter verschleppen ihre Kinder keineswegs nur in andersartige Kulturräume. Die Liste der Zielländer führt laut Bundesjustizministerium die USA (46) an, gefolgt von Polen (42) und schließlich der Türkei (40) – gemessen am Anteil der in Deutschland lebenden Türken eine relativ kleine Zahl. England und Wales sind fast ebenso betroffen (34).
Praktisch keine Chance, ihr Kind auf juristischem Weg wiederzuholen, hätten Eltern, wenn es in ein islamisches Land verschleppt wird, so Bruhns. Denn die meisten dieser Länder sind nicht dem Haager Abkommen beigetreten, das solche Fälle juristisch regelt. Seit August 2000 gilt es jedoch in der Türkei (ebenso wie das Europäische Sorgerechtsübereinkommen).
„Wir haben gute Erfahrungen mit der Umsetzung in der Türkei gemacht”, sagt ein Sprecher des Bundesjustizministeriums. Die Grenzkontrollen seien gut, das Problem sei die Lokalisierung von Gesuchten innerhalb des Landes. Nur selten seien deutsch-türkische Ehen betroffen, meist handele es sich um türkisch-türkische Konflikte. Von den vierzig verschleppten Kindern im Jahr 2007 kehrten nur fünf nicht aus der Türkei zurück. Viele Väter gaben freiwillig auf, oder die Mütter zogen den Antrag zurück.
Quelle : WAZ ( Westdeutsche Allgemeine Zeitung )
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