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von Arche Noah » 14.08.2010, 01:43
Ich setze mal den kompletten Inhalt hier rein.
TAZ und Junge Welt am 01.04.2005
Grenzen der Toleranz - Beratungsstelle kämpft gegen Mädchenbeschneidung
Von Kirsten Prestin
Bonn, 01. April (IPS) - Das grausame Ritual der Beschneidung ist nicht nur ein afrikanisches Problem.
Auch in Deutschland werden die Genitalien afrikanischer Mädchen verstümmelt.
In Privatwohnungen durch eine eingereiste Beschneiderin oder in deutschen Arztpraxen.
Eine neue Beratungsstelle in Nordrhein-Westfalen des Vereins 'Stop Mutilation' ringt bei ihrem Kampf gegen die Beschneidung in Europa und Afrika auch um deutsche Unterstützung.
"Sehr viele Beschneidungen von afrikanischen Mädchen werden hier in Deutschland durchgeführt.
Meistens handelt es sich dabei um Gruppenbeschneidungen, für die extra eine Beschneiderin aus dem Ausland eingeflogen wird",
sagt die Somalierin Jawahir Cumar, von 'Stop Mutilation', eine von dreien bundesweiten Beratungsstellen,
die speziell zum Thema weibliche Beschneidung arbeitet.
In Deutschland leben etwa 24.000 Frauen, die in ihrer Kindheit an den Genitalien beschnitten wurden, etwa 6.000 Mädchen sind davon bedroht.
Da die Kosten für das schädliche Ritual sehr hoch sind, pro Mädchen 1.000 bis 1.500 Euro plus Fahrtkosten, teilen sich die Familien die Ausgaben.
Die Beschneiderinnen werden aus Afrika eingeflogen, manche kommen auch aus Frankreich. Unterschiede zu der traditionellen Praxis gibt es keine.
"Die Mädchen werden von vier Frauen gewaltsam festgehalten, und dann werden ihre Genitalien ohne Betäubung verstümmelt. Diese Folter müssen vier- bis achtjährige Mädchen über sich ergehen lassen", so Cumar in einem Gespräch mit IPS in Bonn.
Der Eingriff reicht von der Abtrennung der Vorhaut der Klitoris bis zu deren Entfernung gemeinsam mit den Schamlippen. Die schlimmsten Folgen hat die so genannte Infibulation oder pharaonische Beschneidung. Dabei werden die großen und kleinen Schamlippen entfernt und die Vagina anschließend zugenäht. Die weibliche Genitalverstümmelung (FGM) verursacht starke Schmerzen, Schockzustände und starke Blutungen. Immer wieder sterben Mädchen an den Folgen. Häufig kommt es zu Infektionen und chronischen Entzündungen. Viele beschnittene Frauen leiden ihr Leben lang an Depressionen und Angstzuständen.
Unvergessene Ferien
Der Eingriff findet meistens während der Ferienzeit statt, oder die Mädchen werden krankgeschrieben. Kommt es zu Komplikationen, besteht kaum Aussicht auf Hilfe. "Die Familienangehörigen können nicht zum Arzt gehen und erzählen, was passiert ist. Denn dann machen sie sich strafbar", betont Cumar, die mit elf Jahren nach Deutschland kam und selbst mit fünf in Somalia beschnitten wurde. In dem nordostafrikanischen Land sind auch heute noch 98 Prozent der Frauen beschnitten.
130 Millionen Mädchen und Frauen sind nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von Beschneidungen betroffen.
Und jedes Jahr kommen etwa zwei Millionen hinzu. Das sind täglich 6.000 Mädchen. Durch den Eingriff sterben fünf bis zehn Prozent.
Weitere 20 Prozent sterben an den Spätfolgen. FGM ist vor allem in 28 Ländern Afrikas sowie in einigen Staaten Asiens und des mittleren Ostens verbreitet.
In Deutschland erfüllt die Mädchenbeschneidung den Straftatbestand der schweren Körperverletzung. Trotzdem wird der Eingriff auch in deutschen Arztpraxen durchgeführt - unter Narkose und zu einem Preis von rund 2.000 Euro. "Es ist schon lange kein Geheimnis mehr, dass auch deutsche oder hier lebende ausländische Ärzte afrikanische Mädchen beschneiden.
Das ist alles nur eine Geldfrage", sagt die Mutter dreier Kinder.
Die Pressesprecherin des Berufsverbandes deutscher Frauenärzte, Maria Lange kann dies nur bestätigen. "Neben den traditionellen Beschneidungen in Wohnungen in deutschen Ballungszentren, wie zum Beispiel Berlin, nehmen auch Ärzte in deutschen Praxen einen solchen Eingriff vor". Mädchenbeschneidung ist immer noch ein Tabuthema in Deutschland. Wegen der strafrechtlichen Relevanz würden sich auch Mediziner nicht gerne zu dem Thema äußern.
Dies hätte auch die Deutsche UNICEF-Studie gezeigt, die zusammen mit dem Berufsverband der Deutschen Gynäkologen und Terre des Femmes erarbeitet worden ist und deren Ergebnisse am 7. April in Berlin veröffentlicht werden. "Wir haben eine Umfrage unter deutschen Frauenärzten zu praktischen Erfahrungen mit beschnittenen Frauen durchgeführt. Die Antworten kamen nur sehr zögerlich und waren von Zurückhaltung geprägt", erklärt die Medizin- und Wissenschaftsjournalistin.
Zurückhaltende Mediziner
Von den 13.000 Gynäkologen und Gynäkologinnen in Deutschland haben 500 den Fragebogen beantwortet. Dabei ging es auch um das Problem, was macht ein Arzt mit einer Frau, die nach ihrer Beschneidung zugenäht wurde, wenn sie ein Kind bekommen hat? Näht er sein Patientin nach der Geburt des Kindes wieder zu? Und wie sieht dann die strafrechtliche Beurteilung aus? Im Jahr 2001 hatte das Schweizer Komitee für UNICEF bereits eine Befragung unter Gynäkologen und Gynäkologinnen in der Schweiz durchgeführt.
Zahlreiche Länder Afrikas haben die Mädchenbeschneidung mittlerweile verboten.
Und auch in Europa haben Länder wie Frankreich und England explizite Gesetze dagegen erlassen.
Doch die meisten deutschen Ärzte und Institutionen, die mit ausländischen Familien arbeiten, wissen viel zu wenig über die Probleme beschnittener Frauen,
erklärt Astrid Prange, Referentin des Deutschen Komitees für UNICEF und Mitarbeiterin der Studie.
"Es gibt immer noch Gynäkologen, die sich mit einer beschnittenen Frau überfordert fühlen", erklärt auch Cumar.
Manche Ärzte kennen das Problem gar nicht. Hinzu käme, dass die meisten beschnittenen Frauen aus Scham erst gar keinen Arzt aufsuchten.
Viele dieser Frauen hätten während der Schwangerschaft keinen Mutterpass und gingen zu keiner Vorsorgeuntersuchung.
Scham und Sprachprobleme
"Der Arzt sieht sie zum ersten Mal während der Geburt und weiß dann oft nicht mit der Situation umzugehen", so Cumar.
Stop Mutilation vermittelt den betroffenen Frauen und Mädchen Ärztinnen und Ärzte, die bereits Erfahrungen auf diesem Gebiet haben.
Hinzu kommt noch das Sprachproblem. Viele Afrikanerinnen sprechen kein Deutsch, so dass außer in Englisch keine Verständigung möglich sei.
Der Verein ermutigt die Frauen deshalb, an Sprachkursen teilzunehmen, um sich im Alltag zurecht zu finden.
Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit von Stop Mutilation liegt in der Aufklärung von Jugendlichen.
"Sie sind die Eltern von morgen, und daher ist es ganz wichtig, sie über die schädliche Praxis zu informieren",
betont Cumar. Dabei gehören nicht nur Afrikaner zu ihrer Zielgruppe, sondern auch deutsche Jugendliche.
Der Verein besucht Schulen, wo er einen jugendgerechten Film über die Beschneidung zeigt und anschließend mit den Mädchen und Jungen über das Thema diskutiert.
Das Deutsche UNICEF-Komitee setzt in seiner Arbeit ebenfalls auf Aufklärung und Information.
"Gesetze alleine reichen nicht aus, um die weibliche Beschneidung zu beseitigen", betont Prange.
Auch in Somalia führt Stop Mutilation Aufklärungskampagnen durch.
Zum Beispiel eine Aktion mit Plakaten, auf denen Männer erklären, dass sie lieber unbeschnittene Frauen haben wollen.
Mithilfe von Geldern des Landesinstituts für Qualifizierung des Landes Nordrhein-Westfalen (LfQ NRW) und Spendengeldern konnte in Somalia ein Krankenhaus für beschnittene Frauen gebaut werden.
Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit ist Bildung, vor allem von Mädchen.
Projekt Mädchenschule
Seit 14 Jahren gibt es keine staatlichen Schulen mehr in Somalia. Nur wenige Kinder können für 20 US-Dollar monatlich Privatschulen besuchen.
Und meistens werden nur die Jungen geschickt, während die Mädchen zu Hause bleiben müssen, wie Cumar erklärt.
Mithilfe der 'Deutschen Stiftung für UNO-Flüchtlingshilfe' kann der Verein jetzt eine Schule in Somalia aufbauen,
in der vor allem Mädchen Lesen und Schreiben lernen.
Geplant ist, die Einrichtung dreifach zu nutzen: "Morgens kommen die Mädchen,
mittags gibt es gemischte Gruppen und abends die Eltern, vor allem Mütter", freut sich Cumar. Von 1.100 Kindern, die die Schule besuchen, sind 700 Mädchen. Das Projekt ist erstmal auf ein Jahr befristet. (Ende/IPS/kp/2005)
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