Liebe Akenaten
Hier bin ich wieder. Irgendwie lässt mich dein Thread nicht los
Ich habe noch einmal einige deiner Posts gelesen, weil es mich interessierte, wo die Eltern deines Mannes wohnen. Aber irgendwie habe ich es nicht gefunden, so du es überhaupt schon einmal erwähnt hast.
Das, was ich heute dir - und allen stillen Mitleserinnen, die sich gerade überlegen, ob sie einen Habibi heiraten sollen, der irgendwo im Niemandsland von Ägypten lebt - schreibe, ist nicht eine Erinnerung, die dadurch verfälscht sein könnte, weil sie eben nur noch eine Erinnerung ist. Nein, es sind meine neusten Eindrücke, die ich heute gewinnen konnte und die einmal mehr meine alten Eindrücke verstärkt haben.
Meine Liebe zum Land Ägypten kennst du. Unter gewissen Bedingungen könnte ich mir es auch vorstellen, in diesem Land für längere Zeit zu leben.
Heute jedoch sah ich wieder einmal einen Teil der ägyptischen Realität, der mir vor Augen führte, unter welchen Bedingungen ich unter keinen Umständen in diesem Land leben will.
Ich war in Shubra al-Kheima. Gleiches sah ich auch schon in Quartieren in Kairo und Helwan. Ich denke, dass es auch für gewisse Gegenden in Oberägypten zutrifft, aber da dies nicht meine "Heimat" ist, kann ich es diesbezüglich nicht abschliessend beurteilen.
Shubra El-Kheima ist eine grosse Stadt in Ägypten und ist primär durch die mittlere Mittelschicht und die Geschellschaftsschichten darunter geprägt. Somit als Gegend vergleichbar mit den Gebieten, aus denen viele der Arbeiter in den Tourihochburgen stammen.
Als wir mit der Metro an der Endstation Shubra El-Kheima angekommen waren, stiegen wir in ein sogenanntes Tuk-Tuk um. Wir drei Frauen hinten, der Mann mit dem Fahrer vorne zu zweit. Somit war das Tuk-Tuk sehr gut gefüllt. Nun ging es los: Ebene und geteerte Strassen sind in diesen Quartieren ein Wunschdenken. Die Strassen bestehen aus irgendwie festgestampftem Sand und allem, was sich zusätzlich darin festsetzt und einnistet. Somit geht es konstant über kleine Hügelchen und schmale bis tiefere Rillen. Die Tuk-Tuk sind sehr klein und recht wendig und schlängeln sich somit durch den Verkehr, der sich durch eine Nichtorganisation auszeichnet. Jeder fährt gerade dort, wo es Platz hat.
Eine prekäre Situation gab es:
Auf der einen Strassenseite stand ein Pferd mit einem flachen Holzanhänger, auf dem die Bauern ihr Gemüse zum Verkauf in die Stadt transportieren. Auf der anderen Strassenseite war die Strasse nicht bis an die Häuser heran eben, sondern hörte abrupt mit einem etwa 25 cm hohen Bord (nach unten!) auf. Wie gesagt, das Bord war aus festgestampftem Sand (oder so) also bedingt noch formbar.
Nun, ein normales Auto wäre noch vorbeigekommen, aber die Mircrobusse, wie sie dort unterwegs sind, sind eine Spur breiter, so dass nicht genug Platz vorhanden war.
Wie die Ägypter sind - keine Geduld - begann ein wildes Gehupe und vorwärts drängeln. Der erste Microbusfahrer versuchte vorbeizukommen, aber als er den Anhänger leicht touchierte, stoppte er. Wir - im Tuk-Tuk - kamen von der Gegendseite und mussten ebenfalls warten.
Nun musste sich jemand bemühen mit dem Pferd einige Schritte vorwärts zu gehen, so dass sich der Anhänger wenige Zentimenter nach vorne schob und somit der Microbus passieren konnte. Ein zweiter gleich dahinter kam ebenfalls vorbei. Unser Tuk-Tuk-Fahrer - der sich ebenfalls durch Ungeduld auszeichnete - konnte nicht warten, bis der zweite Microbus ganz vorbei war und fuhr schon los. Da aber rechts von uns die Strasse eben abschüssig zu Ende war, fuhr das Tuk-Tuk auf dem "Bord", dieses gab kurz nach und für einen ganz kurzen Augenblick dachten wir mit massiver Schieflage nach rechts, dass nun das Tuk-Tuk kippt. Aber Glück gehabt, seine Lage normalisierte sich wieder in der Waagrechten.
Am Zielort angekommen, galt es zuerst noch die benötigten Zutaten für das heutige Essen einzukaufen. Da ist man zu Fuss eben auf diesen unebenen sandigen Strassen unterwegs und muss immer darauf achten, dass man nicht in irgendwelche undefinierbaren Lachen steht, im Unrat stecken bleibt oder auf eben diesem ausrutscht. Gleichzeitig gilt es den Verkehr und die einem entgegenkommenden Leute im Auge zu behalten.
Ich war bei einem jungen Pärchen eingeladen, das erst dieses Jahr mit wenig Geld geheiratet hat.
Dementsprechend eben auch das Wohnquartier und die Wohnung.
Die Wohnung zuoberst in einem mehrgeschossigen Gebäude, kein Lift, dafür schmales und enges Treppenhaus. Zum Teil im Dunkeln, wenn die Mieter des ensprechenden Stockwerks noch keine Birne bei ihrer Wohnungstüre montiert hatten.
Das junge Pärchen hatte die Wohnung als sogenannte Wohnung "ala tub ahmar" angemietet, was soviel wie Wohnung "auf rotem Backstein" heisst und bedeutet, dass sie relativ wenig Geld für den "Mietkauf" zahlen mussten, eine relativ geringe Miete pro Monat zahlen müssen, aber dass der gesamte Innenausbau auf ihre Kosten geht.
Demensprechend sieht auch die Wohnung aus. Und das ist der Zustand, den sich auch alle verliebt-verheirateten Europäerinnen vor Augen halten müssen, wenn sie in eine Wohnung ziehen dürfen/müssen, für deren Ausbau ihr Touri-Habibi verantwortlich ist, resp. wenn der Habibi eine schlecht ausgebaute - aber billige - Wohnung erstanden hat.
Ägyptische Wohnungen ähneln sich vom Grundprinzip her. Das wichtigste ist die sogenannte "Reception": Der Raum, in dem die Gäste sitzen, wenn sie auf Besuch sind. Ist es eine einfache Wohnung entspricht dies auch dem Aufenthaltsraum der Familie. Fast gleich wichtig ist das (Eltern-) Schlafzimmer.
Besitzen die Wohnungen keinen Gang - wie bei diesem jungen Pärchen - dann fällt man, kaum öffnet sich die Wohnungstür, gleich ins Wohnzimmer (Reception) der Familie.
Gleich neben der Wohnungstüre stand der Fernseher, mithin das wichtigste Gerät in der Wohnung!
Also: Eher kleines Wohnzimmer von rund 2 auf 3 Meter. Auf der linken Seite befindet sich die Türe zum Elternschlafzimmer: Wobei die Türe noch nicht vorhanden ist, erst der Rahmen. Dieses Zimmer ist das grösste. Mit einem sehr grossen und wirklich schönen Doppelbett, enstprechendem Kleiderschrank und Kommode/Schminktisch mit dementsprechend grossem Spiegel.
Auf der rechten Seite befindet sich eine Art Gang, der sich in eine Küche erweitert. In diesem "Gang" ist auch noch eine Tür für das Badzimmer, wobei auch hier eine Tür noch nicht vorhanden ist. Sitzt man im Wohnzimmer auf der Couch und guckt TV, kann man gleichzeitig die Person im Badzimmer auf dem Klo sitzend beobachten. Badzimmer ist eigentlich ein bisschen zu viel gesagt: Es ist ein winziger Raum mit einer Toilette, kleinem Waschbecken und einer Brause, die, wenn man duscht, gleich den ganzen Raum mitduscht. Im Boden hat es einen überdeckten Abfluss, schliesslich muss das Wasser auch wieder weg. Also nichts von Badewanne oder Duschkabine oder zumindest einem erhöhten, kleinen Duschbecken.
Was die Ägypter dieser in diesem Post beschriebenen Geschellschaftschichten unter "Küche" verstehen, hat praktisch nichts mit den Küchen gemeinsam, wie wir sie hier bei uns in D/CH/A kennen.
Keine Küchenmöbel, oder höchstens einige ganz simple Kästchen, keine Anrichte, nichts, das irgendwie an eine Einbauküche - und sei es die simpelste - erinnert.
Über dem Spülbecken befinden sich normalerweise montierte Gittergestelle (1-2) in denen das gewaschene Geschirr zum Trocknen hingestellt wird und gleichzeitig ist es somit auch versorgt. Meist sind die Gestelle offen: Wird die Familie ein bisschen wohlhabender, dann habe ich auch schon gesehen, dass die gleichen Gestelle in einem Hängekasten versorgt waren und man somit die Türen schliessen konnte und nichts sichtbar war.
Unter dem Spülbecken befindet sich nichts. Also kein Kästchen mit Mülleimer oder so, sondern Luft - leerer Raum.
Dann hat es noch einen freistehenden Gasherd und wenn es gut kommt einen Kühlschrank (der könnte aber auch fehlen).
Zwischen Wohnzimmer und Gang/Küche befand sich noch ein gefangenes Zimmer. Ohne Fenster. Damit trotzdem ein bisschen Licht und Luft reinkommt, hat man ein Loch gelassen in der Wand, die die beiden Zimmer trennt. Ungefähr in der Grösse eines kleinen Fensters.
Dieses Zimmer wird im Moment noch nicht gebraucht, also fungiert es als Gerümpelkammer und sieht auch so aus. Immerhin hat es schon eine Türe, auch wenn diese noch nicht angemalt ist und somit einfach mal aus "rohem" Holz besteht.
Ach, übrigens ist die Küche nicht mit einer Tür oder so abgetrennt. Der Gang erweitert sich eben einfach zu einem grösseren Raum (3x3 Meter) um die Ecke und damit hats sich. Dafür besitzt das Wohnzimmer ein Fenster. Ich hatte den etwa gleichen Grundriss dieser Wohnung auch schon einmal gesehen, da hatte das Wohnzimmer kein Fenster...
Im Wohnzimmer:
Zwischen Couch/Sofa und Fernseher hatte es eine Lücke von rund 1 Meter. In diese Lücke wurde zur Essenszeit aus der "Gerümpelkammer" so eine Art Clubtisch getragen (rund 60 cm hoch). Daran haben wir dann zu 5 gegessen, wobei eine Person auf dem Boden sass.
Geschirr: Für jede Person einen Löffel und ein kleines rundes Plastikschüsselchen. Das Fleisch (Hühnchen) wurde mit dem Fingern auseineranergezerrt und dann auch mit den Fingern gegessen resp. abgenagt.
Alle Wände sind verputzt und angemalt und sämtliche Böden mit Keramibodenplatten versehen. Ansonsten ist alles eher noch unfertig: Steckdosen offen, elektrische Kabel, dir rumhängen oder sonst sichbar sind, Licht durch Birnen aber keine Lampenschirme und eben fehlende oder unfertige Türen.
Das Tüpchen auf dem i war, dass es im Moment kein fliessendes Wasser hat. Woher sie ihr Wasser im Moment beziehen, habe ich nicht gefragt. Es steht in grossen Kübeln im "Bad" und "Küche". WC-Spülung und Dusche funktionieren also nicht und Wasserhähne müssen auch nicht aufgedreht werden, da eh nichts kommt.
Das junge Paar ist glücklich, so wie es im Moment lebt. Immerhin hatten sie das Geld um sich eine Wohnung zu leisten und zu heiraten! Diese Tatsache muss man immer im Hinterkopf haben, wenn man den (katastrophalen) Ist-Zustand sieht.
Gleichzeitig muss man sich bewusst sein, dass viele Ägypter, die so leben, nichts anderes kennen. Die sind schon in dieser Art und Weise aufgewachsen und empfinden diesen Zustand normal. Eine "Idee" von unserem "Luxus" ist ihnen höchstens aus den vielen Filmen bekannt, die sie tagein tagaus non-stopp im TV gucken.
So, das ist so der Normalzustand vieler Tausender Wohnungen in Ägpyten, (in den genannten Gesellschaftsschichten, das muss man sich bewusst sein), wenn kein zusätzliches Geld von aussen dazukommt.
Je mehr Geld jetzt die westliche (gebezznesste) Frau investiert, umso besser - gehobener - wird der Zustand der Wohnung.
Jede Frau aus dem Westen, die bereit ist, in diese Geschellschaftsschichten mit ihren Umständen hineinzuheiraten, muss mit sich selber klären, ob für sie diese Lebensweise erstrebenswert ist.
Ich könnte weder solche Quartiere noch solche Wohnungen akzeptieren.
Herzliche Grüsse
Mariam